Rechtstipp Nr. 4
Erbfolge und sinnvolle Erbregelung in der Patchworkfamilie
Die klassische Familie – Vater, Mutter und gemeinsame Kinder unter einem Dach – hat Konkurrenz bekommen: Immer mehr Patchworkfamilien kommen vor. Trennungen, Scheidungen und damit Zweit-und Drittehen haben zugenommen, außerdem orientiert sich auch die ältere Generation nach Scheidung oder Verwitwung heutzutage eher wieder in Richtung einer neuen Bindung als das früher der Fall war.
Patchworkfamilien sind vielfältig
Nicht immer, aber oft wird (noch einmal) geheiratet. Manchmal bringen beide Partner minderjährige oder erwachsene Kinder mit, eventuell ist das auch nur bei einem der Partner der Fall. In der jüngeren Generation kommen gelegentlich weitere, gemeinsame Kinder zur Welt. Oder man adoptiert vielleicht die Kinder, die der Partner mitgebracht hat.
Manchmal leben die Kinder des neuen Partners mit dem neuen Paar unter einem Dach und man wächst zur Familie zusammen -gelegentlich besteht zu Kindern aus erster Ehe oder früheren Beziehungen auch gar kein Kontakt mehr.
Genauso vielfältig wie die Familien an sich sind auch die möglichen erbrechtlichen Folgen, lässt man es auf die gesetzliche Erbfolge ankommen. Und vielfältig können auch sinnvolle, individuell auf die Familie zugeschnittene Erbregelungen sein.
Bindung an frühere Ehegattentestamente prüfen
Als Witwe oder Witwer mit Kindern ist man gelegentlich an die Schlusserbenregelung des Ehegattentestaments, das man mit dem verstorbenen Partner errichtet hatte, gebunden. Ein neuer Ehepartner oder weitere Kinder können unter Umständen nur noch pflichtteilsberechtigt sein, jedoch weder nach gesetzlicher Erbfolge noch durch ein später errichtetes Testament Erben werden. Das muss man prüfen lassen, wenn man in neuer Beziehung ein Testament errichten möchte.
Berliner Testament in Patchworkfamilien?
Das klassische, einfache Berliner Testament (Eheleute setzen sich gegenseitig zu Alleinerben ein, Schlusserben des Letztversterbenden sind die gemeinsamen Kinder) passt in Patchworkfamilien in der Regel nicht. Optimal ist es auch in klassischen Familien selten.
Gesetzliche Erbfolge in der Patchworkfamilie
Die gesetzliche Erbfolge führt bei Verzicht auf ein Testament ebenfalls in aller Regel zu unpassenden und von den Beteiligten als ungerecht empfundenen Folgen.
Ein Beispiel:
Frau F. und Herr H. bringen jeweils ein Kind mit in die neue Ehe. Herr H. hat eine Immobilie, in der er mit Frau F. und deren Kind wohnt, das er wie ein eigenes großzieht. Mit dem erwachsenen Kind von Herrn H. besteht hingegen kein Kontakt.
Herr H. stirbt bei einem Verkehrsunfall, ein Testament hat er weder allein noch zusammen mit Frau F. gemacht.
Nach gesetzlicher Erbfolge entsteht nun eine Erbengemeinschaft zwischen Frau F. zu einer Hälfte und dem Kind von Herrn H. zu einer Hälfte. Das Haus, in dem Frau F. mit ihrem Kind wohnt und das ihr Zuhause hätte bleiben sollen, gehört nun zur Hälfte dem „unbekannten“ Sohn von Herrn H.
Erbengemeinschaft in Patchworkfamilien
Da jeder Miterbe jederzeit die Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft verlangen kann, kann dieser Frau F. zwingen, ihn nach seinen Vorstellungen auszuzahlen oder aber mit ihm gemeinsam das Haus nach seinen Preisvorstellungen an einen Dritten zu veräußern, weil ansonsten die Teilungsversteigerung auf sein Betreiben droht.
Die größtmögliche Absicherung von Frau F. und ihrem Kind ist damit nicht mehr gegeben.
Absicherung des neuen Partners im Widerstreit mit den Interessen der Kinder
Allerdings ist die größtmögliche Absicherung des Partners nicht in allen Patchworkfamilien das Ziel.
Kommen zwei Partner zusammen, die jeweils eigenes Vermögen und finanzielle Rücklagen haben, ist der Regelungswunsch oft eher, dass man sich gegenseitig überhaupt nicht beerbt, sondern die jeweiligen Kinder beim Tod ihres leiblichen Elternteils erben.
Auch in diesem Fall ist die Entstehung einer Erbengemeinschaft zwischen dem neuen Ehegatten und den Kindern aus früheren Beziehungen nicht erwünscht, diesmal im Sinne der Kinder.
Einseitige und gemeinsame Kinder, einseitiges und gemeinsames Vermögen
Gibt es in der Ehe sowohl einseitige als auch gemeinsame Kinder, muss noch stärker differenziert werden. Auch dann, wenn jeder oder ein Partner etwas mitgebracht hat, andere Vermögensbestandteile aber gemeinsam erschaffen wurden. Wer erbt was von wem und zu welchem Zeitpunkt?
Pflichtteil in Patchworkfamilien
Und letztendlich nie aus den Augen zu verlieren: Das gesetzliche Pflichtteilsrecht von leiblichen oder adoptierten Kindern –aber auch des Ehegatten, falls er wegen der Kinder aus erster Ehe nichts erben soll.
Der Pflichtteil lässt sich durch Testament zwar nicht ausschließen, sollte bei der geschickten Testamentsgestaltung jedoch stets berücksichtigt werden, um die eventuell negativen Folgen für die testamentarischen Wunscherben gering zu halten.
Geringe Akzeptanz des Berliner Testaments in Patchworkfamilien
Während gemeinsame Kinder nach Eröffnung eines Berliner Testaments ihren Pflichtteil bei dem alleinerbenden Elternteil oft nicht geltend machen, sondern auf ihr Erbe bis zum Tod des längstlebenden Elternteiles warten, ist dies von Stiefkindern gegenüber dem Stiefelternteil in aller Regel nicht zu erwarten.
Da ein Stiefkind gegenüber dem Stiefelternteil weder gesetzlicher Erbe noch pflichtteilsberechtigt ist, geht es ansonsten auch das Risiko ein, später gar nichts mehr zu erhalten, wenn es seine Rechte nicht gleich geltend macht, wenn der leibliche Elternteil stirbt. Dies wiederum bringt den verwitweten Stiefelternteil unter Umständen in Schwierigkeiten und wird als Angriff aufgefasst.
Unterschiedliche Sichtweisen und Interessen
Jede dieser Sichtweisen ist verständlich. Die erbrechtliche Beratung in der Patchworkfamilie sollte daher auf die größtmögliche Harmonisierung aller Rechte und Bedürfnisse abzielen. Und natürlich den Wünschen des zukünftigen Erblassers entsprechen: Legt er den Schwerpunkt auf die Absicherung des neuen Partners oder auf die ungeschmälerte Weitergabe seines Vermögens an die vorher schon vorhandenen Kinder aus früherer Beziehung?
Genügen zur Absicherung des neuen Partners Nutzungsrechte (Nießbrauch, Wohnrecht)?
Überraschende Erbfolge in der erweiterten Patchworkfamilie
Die Beratung sollte auch deutlich machen, dass es in Patchworkfamilien zu überraschenden, ungewollten weiteren Erbfolgen kommen kann, die man bei der Gestaltung berücksichtigen muss – wenn beispielsweise der Expartner auf dem Umweg über das gemeinsame Kind erben könnte.
Beispiel für besonders problematische Erbfolge in der Patchworkfamilie
Ein wahrer Beispielsfall: Ein geschiedener, wieder verheirateter Vater (Hausbesitzer) fährt mit seinem bei der Mutter lebenden Sohn am Papa-Wochenende zu einem Fußballspiel. Ein schwerer Verkehrsunfall passiert. Der Vater ist sofort tot, der kleine Sohn verstirbt einen Tag später im Krankenhaus. Er wird beerbt von seiner leiblichen Mutter, der Exfrau des Vaters. Da das Kind zunächst jedoch vom zuerst verstorbenen Vater geerbt hatte, besteht jetzt eine Erbengemeinschaft zwischen der zweiten Frau des Vaters und der Exfrau. Beiden gehört das Haus, in dem die neue Frau wohnt, gemeinsam. Probleme sind vorprogrammiert. Das hätte man durch eine sinnvolle Erbregelung verhindern können.